Andreas Nerlich hat bereits 1800 Mumien untersucht – und ein Mumienschwein erstellt

Andreas Nerlich hat bereits 1800 Mumien untersucht – und ein Mumienschwein erstellt

Den Ötzi, die Moorleiche aus Dachau und die ägyptischen Mumien – der Münchner Arzt Andreas Nerlich hatte Sie alle schon auf dem Tisch. Sogar selbst hergestellt hat er eine Mumie schon, besser gesagt ein Mumienschwein.

Andreas Nerlich erforscht seit fast 30 Jahren sterbliche Überreste von Menschen, die zum Teil schon hunderte von Jahren alt sind. So war er beispielsweise vor einigen Jahren an der Untersuchung einer besonders rätselhaften Leiche einer jungen Frau beteiligt.

Lange nahmen Fachleute an, dass sie eine Moorleiche aus dem Dachauer Moos sei. Doch warum war die Mumie dann so erstaunlich gut erhalten? Und weshalb fanden sich Alpaka-Fasern an ihr?

Als sich Nerlich gemeinsam mit Kollegen verschiedener Fachrichtungen der rätselhaften Frauenleiche annahm und Gewebe und DNA untersuchte, kamen sie zu einem überraschenden Ergebnis: Die Dachauer Frauenleiche stammte in Wahrheit aus Südamerika. Sie ist eine Mumie aus der Inkazeit, die vermutlich die wissenschaftlich interessierte, bayrische Prinzessin Therese einst nach Deutschland gebracht hatte.

Rätsel wie diese haben es Nerlich angetan. Die Paleopathologie ist zum Hobby des Münchner geworden.

Als Nerlich sein Medizinstudium anfing, ahnte er nicht, dass er einmal Pathologe werden würde. „Ich fand das Gebiet interessant, aber nicht so reizvoll“, erklärt der Chefarzt. Lieber wollte er näher am Patienten sein. Dass es dann doch anders kam, hat er aber bis heute nicht bereut.

Pathologen sind keine Gerichtsmediziner

„Ich mag es, dass wir den Dingen in der Pathologie auf den Grund gehen können und sehr viel Gewissheit haben“, sagt Nerlich. Pathologen arbeiten eng mit den Ärzten in den OPs zusammen. Zu ihnen kommt das Gewebe, dass die Ärzte zuvor entfernt haben. Sie untersuchen es, schauen zum Beispiel, ob ein Tumor bösartig ist und melden es dem operierenden Arzt zurück.

Mit dem Bild, dass das Fernsehen oft von Nerlichs Berufsgruppe malt, hat der Job des Pathologen gar nicht so viel zu tun. Die Untersuchung von Leichen bei Tod „von dritter Hand“ – also Mord, Selbsttötung oder Unfalltod – ist Aufgabe des Gerichtsmediziners.

Ebensowenig hat ein Pathologe normalerweise mit Mumien am Hut. Dass letztere zu Nerlichs Freizeitvergnügen wurden, war Zufall.

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Um die 1800 Mumien untersucht

An der Universität München lernte der Mediziner einen Anthropologen kennen. Schnell war klar: Die beiden Wissenschaften konnten viel voneinander lernen. Durch die Freundschaft kam es, dass Nerlich irgendwann das erste Mal nach Ägypten reiste, um dort an einer Ausgrabung teilzunehmen und Mumien zu erforschen. Und aus einem, wurden viele Besuche.

„Je vollständiger der Korpus ist, desto spannender ist die Mumie“

25 Jahre lang fuhr er nach Ägypten und untersuchte um die 1800 Mumien bzw. ihre Überreste vor Ort. Hinzu kamen weitere aus Europa und Südamerika.

„Je vollständiger der Korpus ist, desto spannender ist die Mumie“, sagt Nerlich.  Letztere stellen sich viele als eingewickelte Korpusse vor. „Das ist aber in den seltensten Fällen so“, berichtet der Pathologe. Meistens seien nur Skelette übrig, manchmal noch Weichteile. Und so unterschiedlich die Überreste sein können, so unterschiedlich sind auch die Fragen, die sie aufwerfen: Mit wem war die Person verwandt? Wie waren die Bedingungen zu ihren Lebzeiten und hatte sie eine Krankheit? All das möchte Nerlich herausfinden. „Aus wissenschaftlicher Neugier“, sagt er.

So wird die Mumie untersucht

Wenn der Münchner Skelette bekommt, reicht es oft schon, sie nur äußerlich anzusehen, um etwas darüber sagen zu können. Mumien werden zudem gerne ins CT oder MRT geschoben, da die bildgebenden Verfahren die Überreste nicht zerstören. Je nach Fragestellung und Zustand der Mumie schließe sich laut Nerlich auch noch eine Autopsie und DNA-Analyse an. Dabei passe er jedoch darauf auf, dass die Stellen, an denen Gewebe entnommen wird, gut kaschierbar sind.

Das Mumienschwein

Schließlich ist es auch eine finanzielle Frage, welche Untersuchungen der Paleopathologe vornehmen kann. Manches ist nur durch eine Förderung möglich (der Förderverein ist unter archeomed.de zu erreichen). So war es auch mit einem ganz besonderen Projekt: Dem Mumienschwein.

Wie die Ägypter bei der Erstellung einer Mumie vorgegangen waren, hatte einst Herodot aufgeschrieben. Ob das Überlieferte auch stimmen kann oder nur eine Sage ist, hatte aber niemand bisher überprüft. „Wir haben das dann mal ausprobiert“, sagt Nerlich.

Die Wissenschaftler beschafften sich ein Schwein mit ähnlicher Größe und Gewicht, wie sie ein Mensch hat. Zudem hat ein Schwein, wie ein Mensch auch, kein Fell. Eine menschliche Leiche kam aus ethischen Erwägungen nicht infrage.

D - Mumie nach Einwickelung

Das Mumienschwein ließ sich leicht erstellen

„Es hat sich dann alles leicht umsetzen lassen“, erinnert sich der Pathologe an die Einbalsamierungsarbeiten, die nun schon sechs Jahre zurückliegen. Auch sei es weder geruchlich noch anschauungstechnisch grauslig gewesen, das Mumienschwein zu erstellen. Als die Mediziner das Schwein nach mehr als fünf Jahren wieder hervorholten, waren sie positiv überrascht: „Es war vollkommen intakt.“

„Wir wollten sehen, wie groß der Aufwand war, eine Mumie zu erstellen und ob das von Herodot beschriebene Vorgehen praktikabel war“, sagt Nerlich, „Nun können wir selbst verfolgen, wie die Zwischenstationen auf dem Weg zur Mumie aussehen.“

Besteht noch Infektionsgefahr?

Auch Nerlichs eigentliche Arbeit an den Mumien bringt wissenschaftliche Fortschritte. Wir lernen dadurch, wie die Welt in der Vergangenheit ausgesehen hat. „Man wird demütig, wenn man sieht, wie es den Menschen früher gegangen ist“, erzählt der Mediziner, „Ich bin heilfroh, dass ich heute lebe und nicht vor 100 Jahren.“ Die heutige Medizin sei ein enormer Vorteil, den viele Menschen gar nicht mehr so wahrnehmen.

„Wenn es den Fluch der Mumie wirklich gäbe, dann wäre ich dafür wohl prädestiniert.“

Oft lassen sich selbst an den ägyptischen Mumien noch Infektionserreger nachweisen, zum Beispiel von Tuberkulose. „Durch die Untersuchung von Mumien aus unterschiedlichen Zeiten können wir nachvollziehen, wie der Entwicklungsweg der Tuberkulose-Erreger ausgesehen hat und in welchen Zeiten sie aufgetreten sind und sich weiterentwickelt haben“, sagt Andreas Nerlich.

Infektionsgefahr bestehe jedoch an jahrzehntealten Mumien eher nicht mehr. Anders sah das bei den Permafrostmumien aus, die vor kurzem wieder an die Oberfläche gelangten und dort Tiere mit Milzbranderregern infizierten. „Milzbranderreger bilden Sporen, die noch nach vielen Jahren ansteckend sein können“, erklärt Nerlich. Auf andere Krankheitserreger, die zum Beispiel die Tuberkulose auslösen, treffe das allerdings nicht zu. Der Pathologe hält den Umgang mit alten Biomaterialien daher für ungefährlich und fügt im Scherz hinzu: „Wenn es den Fluch der Mumie wirklich gäbe, dann wäre ich dafür wohl prädestiniert.“

Fun Fact:

Auch die alten Ägypter mumifizierten schon Tiere. Das Münchner Mumienschein ist also vermutlich nicht das erste seiner Art.

4 thoughts on “Andreas Nerlich hat bereits 1800 Mumien untersucht – und ein Mumienschwein erstellt

  1. Nik

    Bei der Berufswahl Schwein gehabt. Toller Artikel!

    1. Lisa

      Danke dir. Freut mich, dass er dir gefällt!

  2. munki

    Wow… bin gespannt, wann die ersten Politiker und Promis darauf kommen, sich nach dem Tod einbalsamieren zu lassen… damit sie auch nach vielen Jahren noch so toll sind wie zu Lebzeiten… sehr interessanter und unterhaltsamer Artikel!!!

    1. Lisa Kleine

      Danke! Freut mich sehr, dass dir der Artikel gefallen hat 🙂

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